Wer sind die Brambrillas

WIR SCHREIBEN KINDERGESCHICHTEN UND DENKEN UNS IMMER WIEDER ETWAS NEUES AUS. WIR ZEICHNEN UND FOTOGRAFIEREN. MAL ZUSAMMEN, MAL JEDE FÜR SICH. BASTELN, FILOSOFIEREN UND KOCHEN TUN WIR AUCH GERNE. WIR MÖGEN TIERE UND DAS MEER. DIE NATUR LIEGT UNS AM HERZEN UND DIE FREUDE DARAN WOLLEN WIR MIT EUCH TEILEN.

29. Mai 2015

Prinz Picobello




Prinz Picobello 

Prinz Picobello sitzt zufrieden in seinem Zimmer
umgeben von einem Spielsachenchaos wie immer.
Ein Feuerwehrauto hier, ein gelesenes Buch dort.
Da kommt des Prinzen Mutter und schimpft mit ihm sofort.

“Spielsachen in die Truhe! Bücher ins Regal!”
Doch Prinz Picobello ist ihre Schelte egal.
“Na schön, du Bengel. Dann gibt’s halt keinen Kuchen, 
den kannst du sonst wo suchen!”

Prinz Picobello denkt sich: “Ich muss hier fort 
und zwar noch heute,
mich langweilen Schloss und Leute.
Er rennt zur Tür, wirft in eine Ecke seine goldene Krone,
denn Prinz zu sein interessiert ihn nicht die Bohne.

“Stattdessen hüpft er auf einem Bein zum Stall,
und nervt das Vieh mit dem königlichen Ball.
Er wirbelt auf Heu und Staub.
“Ich mach, was ich will und stell mich taub!”

Da kommt der Stallbursche mit der Mistgabel,
erblickt das Chaos und fühlt sich miserabel.
“Herrjeh, Chaosprinzen sind eine Plage. 
Glaubt mir, Hoheit, wenn ich‘s euch sage.”

Picobello lacht sich krumm, steigt aufs Ross
und entfernt sich vom öden Schloss.
Er erlebt zig Abenteuer, trifft auf faule Drachen 
und schöne Feen,
badet nackt in eiskalten Bergseen.

Es ist wonniger Mai 
und Prinz Picobello fühlt sich endlich frei.
Da bläst der Wind ein Duft ihm in die Nase – Schokolade!
Die liebt er mehr als Erdbeermarmelade.

Schnell aufs Ross,
galoppierend zurück zum wohl riechenden Schloss.
Am Küchenfenster drückt er die Nase platt.
“Ich sterb vor Hunger, ich fühl mich schon ganz matt!”

Auf dem Tisch – oh Glück! – steht eine Schokoladentorte,
des Prinzen absolute Lieblingssorte.
Picobello schleicht in die Küche, streckt den dreckigen Finger nach dem Schmaus,
doch die Königin entdeckt die freche Laus.

“Finger weg, du rotznasiger Schelm,
sonst kriegst du was auf deinen Helm!
Hast du etwa die Hausregel vergessen?
Für böse Jungs gibt‘s nichts zu essen.”

Der Prinz rennt rauf die Treppe,
zerreisst dabei der braven Schwester die seidige Schleppe.
Wirft alles in die Truhe
und hofft endlich auf Ruhe.

Alles ist an seinem Platz,
sogar die zahnlose Katz.
“Ach, wie langweilig!
Alles so scheinheilig!”

Da schreit der Prinz: ”Ich kusch doch nicht wie eine feige Maus. 
Ich muss hier schnell  wieder raus!”
Und Picobello nimmt alles wieder aus der Truhe,
fertig mit der ordentlichen Ruhe!

Der Prinz rennt runter die Treppe,
zerreisst der Schwester die zweite Schleppe.
“Ich mach Chaos, na und?
Das macht die Welt doch erst bunt!”

Da kommt aus der Küche die Mutter,
mit einem Gesicht wie saure Butter.
“Picobello, du stures Kind, 
verlass das Schloss und zwar geschwind!”

Der Prinz lässt‘s sich nicht zweimal sagen,
im Leben muss man halt was wagen.
Er greift husch zur Torte,
denn er ist – wie wir wissen – von der frechen Sorte.

Er steckt sie in den Sack,
bereit für weiteren Schabernack.
Rennt aus der Küche, rauf aufs Ross,
und sagt “Tschüss!” zum kleinkarierten Schloss.

Picobello ist wahrlich kein frommes Lamm,
aber der Apfel fällt bekanntlich nicht weit vom Stamm...

© Brambrilla / Daniela und Isabella Cianciarulo

22. Mai 2015

Die Geschichte des alten Fischers Yanni, der den Horizont besuchen wollte - Teil 4

Hallo zusammen

Yannis Geschichte geht heute zu Ende. Wir wünschen viel Spass beim Lesen und ein gemütliches Pfingswochenende!



MOBY DICKS URURURURURURURUR-ENKEL


Am nächsten Morgen wollte Yanni aus dem Bett springen, doch seine Muskeln waren steif und er spürte, dass er als alter Mann ins Bett gegangen und als alter Mann wieder aufgewacht war. Er eilte so schnell es ging zu seinem Spiegel. Verwundert berührte er sein gefurchtes Gesicht, unschlüssig darüber, ob er froh oder traurig sein sollte, oder, ob dies ein Zeichen war, nach Hause zu kehren. Nachdenklich ging er wieder an Deck und kontrollierte sein Netz, bevor er es mit einer weit ausholenden Bewegung ins Meer warf. 
Nachdenklich schaute er zum Horizont und hätte wahrscheinlich Stunden so dagesessen, hätte ihn nicht ein junger sich im Netz verfangener Delfin aus den Gedanken gerissen. Schnell holte Yanni sein scharfes Messer hervor, um das Tier zu befreien. 
«Beinahe wärst du erstickt!», sagte Yanni besorgt. 
«Danke Yanni, das werde ich dir nie vergessen!», rief der Delfin erleichtert. 
«Ach was! Bald wirst du dich nicht mal mehr an meinen Namen erinnern.»
«Vielleicht trifft das auf euch Menschen zu. Ich meine, was ich sage. Ich werde mich ein Leben lang an deine Hilfe erinnern», entgegnete der Delfin und schwamm näher ans Boot heran. 
Yanni beugte sich zu ihm runter und strich ihm liebevoll über die Schnauze, was dem Delfin einen freudigen Klicklaut entlockte. 
«Ich bin übrigens nicht zufällig hier. Man hat mir berichtet, dass du den Weg zum Horizont suchst und niemandem glauben willst, dass dein Unterfangen hoffnungslos ist», erklärte ihm der Delfin. 
Yanni kratzte sich verlegen am Kopf. 
«Da mir nicht mehr so viel Zeit bleibt, war ich vielleicht etwas zu verbissen», rechtfertigte er sich. 
«Ich kann dich verstehen. Auch mein Vater hat nach dem Weg gesucht und ihn erst jetzt gefunden», verriet ihm der Delfin. 
Yanni horchte auf.
«Er hat es geschafft?»
«Ja, genau wie deine Eltern. Auch du wirst es schaffen, glaub mir, aber du musst dich noch ein bisschen gedulden», sagte der Delfin und zwinkerte ihm ein letztes Mal zu, bevor er sich auf den Weg machte. 
«Warte!» schrie ihm Yanni verwirrt nach. «Was willst du damit sagen?» 
»Geduld, Yanni. Alles hat seine Zeit», verabschiedete sich der Delfin und bevor Yanni etwas erwidern konnte, verschwand er in den Wellen. 
Yanni blickte ihm nach und wusste in seinem Herzen, dass der Delfin ihm die Wahrheit gesagt hatte. Alles hatte seine Zeit. Und jetzt war es an der Zeit nach Hause zu kehren und von den Erinnerungen an seine erstaunlichen Abenteuer zu zehren. Er hatte auf seiner Reise zwar nicht den Horizont erreicht, dafür aber Octo, Cala, Astrapi und all die restlichen Meeresbewohner kennengelernt. Das war mehr als er sich je erträumt hatte.
Yanni lichtete den Anker und stellte fest, dass er gar nicht mehr wusste, wo er sich befand und in welche Richtung er sein Boot hätte lenken müssen. 
Er blickte um sich und zuckte gelassen mit den Schultern.
«Mein Freund, der Wind, wird mich schon ans richtige Ufer lenken.»

Mehrere Tage und Nächte trieb der Wind Yanni nach Hause, während er die außergewöhnlichen Abenteuer der letzten Tage niederschrieb, um auch nichts zu vergessen. Das Meer war spiegelglatt. Ab und zu kreischte eine hungrige Möwe. Und dann hörte Yanni ein tiefes brummendes Lachen. Erstaunt blickte er um sich, doch er konnte niemanden sehen. Er wollte gerade die Geschichte mit dem jungen Delfin zu Ende schreiben, als das Boot meterhoch aus dem Meer gehoben wurde. Verängstigt hielt sich Yanni an einem Tau fest und hörte, wie um ihn herum das Wasser rauschend nach unten strömte. Für kurze Zeit herrschte wieder absolute Stille. Nichts regte sich. Zögernd stand Yanni auf und schaute vorsichtig über den Bootsrand. 
«Verrückt! Einfach verrückt!», sprach er leise. 
Sein kleines Boot stand nicht mehr im Wasser, sondern auf dem Rücken eines riesigen Blauwales. 
«Na, komm zu mir runter. Ich werde dich schon nicht auffressen. Ich finde Menschen äußerst unappetitlich», versicherte ihm der Wal lachend und schielte zu Yanni hoch. 
Mit einem mulmigen Gefühl seilte sich Yanni auf dem feuchten Rücken des Wales runter und setzte sich auf dessen Kopf.
«Entspann dich, mein Freund. Ist das nicht ein herrlicher Tag?», fragte er und pfiff vergnügt durch sein Atemloch. 
«Ja, ein wunderschöner Tag», antwortete Yanni leise. 
«Du bist also auf dem Heimweg. Wenn du magst, nehme ich dich ein Stückchen mit und wir plaudern ein bisschen. Ich soll dich übrigens von allen grüßen», bemerkte der tonnenschwere Koloss.
Yanni dankte ihm erfreut und genoss die außergewöhnliche Sicht aufs Meer.
«Verrückt! Einfach verrückt!», murmelte er staunend. 
«Ach, so verrückt, auch wieder nicht. Mein Ururururururururgroßvater Moby Dick hat immer gesagt: Es gibt nichts, was es nicht gibt.»
Yanni nickte zustimmend.
«Und? Hast du herausgefunden, warum du dich immer wieder in den jungen Yanni verwandelt hast?», fragte ihn der Wal. 
Yanni zuckt überfragt mit der Schulter.
«Hast du wenigstens eine Ahnung, warum du stundenlang im Meer schwimmen konntest wie ein Fisch?»
Wieder hatte Yanni keine Antwort.
«Du hast dir doch was gewünscht oder nicht?», neckte ihn der Wal.
Yanni kam ins Grübeln. Es fiel ihm wieder nur sein Wunsch ein, den Horizont zu besuchen. 
«Nein, nicht dieser Wunsch! Es war Acheloos, der Vater der Sirenen, der dir dieses Geschenk gemacht hat», verriet er lächelnd. 
«Der Vater der Sirenen?», fragte Yanni und machte große Augen.
«Wieso gerade mir?», wunderte sich Yanni.
«Deine Rübe wird wohl langsam alt, was?», zog ihn der Wal auf.
«Mein Ururururururururgroßvater Moby Dick hat immer gesagt, man soll sich gut überlegen, was man sich wünscht.»
Yanni zuckte überfragt mit den Schultern.
«Du hast versprochen, den Menschen von uns und unseren Sorgen zu erzählen, wenn du wieder jung sein könntest. Klimawandel, Fischsterben, Umweltverschmutzung. Schon vergessen?»
Traurig blickte Yanni auf seine alten Hände.
«Aber schau mich an, ich bin nicht mehr der Jüngste und werde wohl kaum noch genug Zeit haben, um mein Versprechen zu halten.»
«Mach dir keine Sorgen. Es wird sich schon ein Weg finden. Jeder kleinste Schritt zählt. Und du bist ja nicht allein auf dieser Welt. Wir bringen dich jetzt erst mal nach Hause», munterte ihn der Blauwal auf.
Und endlich begriff Yanni, was der Wal und all die anderen Tiere ihn gelehrt hatten. Alles hängt zusammen. Wir machen alle Fehler. Wichtig ist es, daraus zu lernen. Ohne einander würde das Leben nicht viel Sinn, geschweige denn Freude machen.  
«Festhalten, ich schalt jetzt mal den Turbo ein!», warnte Moby Dicks Ururururururururenkel Yanni und schwamm los, um den alten Fischer so schnell wie möglich nach Hause zu bringen.

WIEDER  ZU HAUSE

Als Yanni seine Insel wieder erreichte, blickten ihn die Dorfbewohner an als würden sie einem Geist gegenüberstehen. Es grenzte für sie an ein Wunder, dass er immer noch lebte, während er sich nicht über die lange Zeit wunderte, die er weg gewesen war. Seine Reise hatten ihn gelernt, dass es nichts gibt, was es nicht gibt. 

Bäcker Nikos blickte ihn ungläubig an und rechnete sich aus, dass Yanni zehn Jahre weg gewesen war und somit schon fast hundert Jahre alt sein musste.
«Verrückt so was! Einfach verrückt!», murmelte er.
Nur Sofia war nicht ganz so erstaunt, ihren lieben Freund wieder in die Arme schließen zu können. Eine Stimme in ihrem Herzen hatte sie nie die Hoffnung verlieren lassen. Und nun saß sie mit den restlichen Dorfbewohnern bei Yanni vor dem Haus und erfuhr von Octo, dem kurzsichtigen Tintenfisch und von Cala, der weisen Schildkröte. Zum Beweis zeigte ihnen Yanni die Schwimmhäute, die ihm zwischen den Fingern geblieben waren. Sie staunten nicht schlecht, als sie von den Sirenen hörten und von Astrapi, dem Haifisch, der seine ganz spezielle Zahnseide benutzte, und von all den anderen Meeresbewohnern, die dort in einer wunderbaren, aber bedrohten Parallelwelt lebten. Als die Inselbewohner von Yannis Versprechen hörten, den Tieren zu helfen, zögerten sie nicht lange. Alle gemeinsam dachten sie darüber nach, wie man das Steuer noch herumreißen konnte bevor es endgültig zu spät war. Stavros, der Barbesitzer, entschied sich ein Solardach zu bauen und das biologisch angebaute Gemüse seines Onkels für die Speisekarte zu benutzen. Der eine nahm sich vor, auch mal das Fahrrad statt das Autos zu benutzen. Das ganze Dorf einigte sich darauf, den Abfall umweltgerecht zu entsorgen und weniger Plastik zu benutzen. Nikos wollte kleine Meerestiere aus Hefeteig backen und einen Teil des Erlöses für interaktive Aufklärungsprojekte mit Kindern aufwenden, während Yanni weiterhin allen, die ihm zuhören wollten, von seinen Meeresfreunden, vom Horizont und von den kleinen Dingen, die der Mensch tun konnte, um etwas zu verändern, erzählte. Er besuchte Schulen und Altersheime, Dörfer und Städte. Und als er dann doch zu alt dafür wurde und sein Gedächtnis etwas nachließ, erzählte Sofia die Geschichten und sorgte dafür, dass Yannis Erlebnisse nicht verloren gingen.
Neue Touristen kamen auf die Insel, und erfuhren so von Yannis Geschichten, die ihren bisherigen Blick auf das Meer und seine Bewohner veränderten. Immer noch kreuzten die grossen Dampfer vor der Insel auf. Immer noch warfen die einen ihren Abfall ins Meer. Doch andere taten sich zusammen, um den Strand mit ihren Kindern vom Abfall zu säubern.

Eines Abends saß Yanni vor seinem Haus und blickte auf den Horizont. Die Sonne ging gerade unter und tauchte das Meer in schimmerndes Gold, als der alte Fischer ein bekanntes Klickgeräusch hörte. Kurz darauf sprang ein stattlicher Delfin aus dem Wasser. Yanni wusste, dass der Horizont nun auf ihn wartete und machte sich gelassen auf den Weg. 
Als Sofia am nächsten Tag vorbeikam, um Yanni das Mittagessen vorbeizubringen, hatte dieser sein Haus aufgeräumt und eine Nachricht für sie hinterlassen.
«Liebe Sofia. Ein alter Freund hat mich zu sich eingeladen. Es wird ein Weilchen dauern, bis wir uns wiedersehen, aber mach dir keine Sorgen. Alles hat seine Zeit.»

Und wenn wir uns heute oder morgen etwas Zeit nehmen, können wir, wo auch immer wir gerade sind, sehen, wie der alte Fischer Yanni auf der feinen Linie zwischen Himmel und Erde einen gemütlichen Spaziergang macht und neue Geschichten in den Wind schreibt, die auf die eine oder andere Weise zu uns gelangen.

© Text und Zeichnungen Brambrilla 2015 / Daniela und Isabella Cianciarulo  

18. Mai 2015

Die Geschichte des alten Fischers Yanni, der den Horizont besuchen wollte - Teil 3

Ihr Lieben
Ob Yanni wohl heute seinem Ziel, den Horizont zu besuchen, einen Schritt näher kommt? 


CALA, DIE SCHILDKRÖTE


Tatsächlich hatte Yanni keine Vor-stellung darüber, wie lange er bereits unterwegs war, und wieviele Sorgen sich Sofia um ihn machte. Was ihm wie ein paar Tage erschien, waren in Wirklichkeit Jahre gewesen. Mittlerweile war Athina gestorben und Sofia zu einer jungen Frau herangewachsen, die als einzige im Dorf immer noch auf Yannis Rückkehr hoffte. Das konnte Yanni aber nicht wissen, denn auf der Reise zum Horizont zählten allein die Meeresstunden und die folgten ihren eigenen Gesetzen. 
Yanni wollte trotz des immer noch tobenden Sturmes zu seinem Boot zurückschwimmen und nach Hause fahren, als Cala noch etwas verschlafen auf ihn zuschwebte.
Wie schön sie ist, dachte Yanni entzückt. 

«Grüss dich, Yanni. Könntest du mir bitte den Panzer abschrubben? Ich komm da so schlecht ran», bat sie ihn und rieb sich gähnend die Augen. 
«Aber natürlich», antwortete Yanni hilfsbereit.
Er griff nach etwas Sand und rubbelte den mit Algen und Moos bewachsenen jahrzehntealten Panzer ab. Nach und nach kam regenbogenfarbig schimmerndes Perlmutt darunter zum Vorschein. 
«Mhm, das tut gut, efcharisto», bedankte sich Cala.
«So, mein Lieber und jetzt zu dir. Ich habe gehört, dass du mich etwas fragen willst. Ich hab grad ein Momentchen Zeit bis zu meinem nächsten Termin. Also, wie kann ich dir helfen?» 
«Wie kann ich den Horizont erreichen?» fragte Yanni aufgeregt. 
Cala schüttelte ernst den Kopf.
«Es tut mir leid, aber ich muss dich enttäuschen. Den Horizont kannst du beim besten Willen nicht erreichen. Niemand von uns kann das, solange er lebt.» 
«Das glaub ich dir nicht!», entgegnete Yanni stur. 
Die Schildkröte ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. 
«Ich werde dir ein Geheimnis anvertrauen. Ich selbst wollte mal zum Horizont reisen», flüsterte sie ihm zu. 
«Wirklich?» fragte Yanni nach. 
«Ja, als ich noch jung war, erzählte mein Vater mir, dass er vor langer langer Zeit Acheloos, den Vater der Sirenen, belauscht und dabei erfahren hatte, dass an einem ganz bestimmten Punkt des Horizonts die Weisheit ihren Ursprung hat. Derjenige, der diesen geheimen Ort fände, würde zum weisesten Lebewesen auf Erden. Als ich dies hörte, war meine Entscheidung schnell gefasst. Ich wollte diesen Punkt am Horizont finden und zum weisesten Tier der Welt werden. Ohne meinen Eltern etwas zu sagen, machte ich mich auf den Weg. Viele Jahre war ich unterwegs, doch den Horizont erreichte ich nie. Ich verlor dabei keinen Gedanken an meine besorgte Familie. Niemand konnte mich von meinem Vorhaben abbringen und ich merkte nicht, wie einsam ich geworden war. Yanni, mach nicht denselben Fehler! Den Horizont kann man nicht erreichen. Aber es gibt genügend Orte auf der Welt, die auf uns warten und die uns ihre Geheimnisse anvertrauen können», sprach die Schildkröte ehrlich. 
Störrisch schüttelte Yanni den Kopf. 
«Ich glaub dir kein Wort. Du lügst mich an! Ihr wollt alle nicht, dass ich den Horizont erreiche und mehr weiß als ihr alle zusammen!», rief er aus. 
Cala schüttelte den Kopf und machte sich wieder auf den Weg. 
«Was heißt denn schon mehr? Du weißt mehr als die einen, aber auch weniger als die anderen. Das tun wir alle. Niemand hat die Weisheit mit Löffeln gefressen, auch wenn heute manch einer so tut als ob. Höre auf mich und geh nach Hause zurück. Du verschwendest nur deine kostbare Zeit», rief sie ihm noch zu und verschwand langsam in den unergründlichen Tiefen des Meeres. 

GLÜCK GEHABT
Wütend wollte Yanni zurück aufs Boot schwimmen, als sich ein Schatten über ihn legte. Er blickte hoch und erkannte einen stattlichen Hai. Schnell versteckte er sich hinter einem großen Felsen und verfolgte dessen flinke Bewegungen.
«Aber klar, der Haifisch!», dachte er.

«Er ist schlau und hat schon in allen Meeren dieser Welt gejagt. Er wird mir wohl sagen können, ob und wie man den Horizont erreichen kann.»
Nicht einmal die Gefahr, vom gefürchteten Raubfisch gefressen zu werden, hielt ihn davon ab, sich diesem zu nähern. Er nahm seinen ganzen Mut zusammen und kam aus seinem Versteck hervor. Doch der Hai war bereits verschwunden. Enttäuscht wandte sich Yanni  ab, um zurückzuschwimmen und blickte starr vor Schreck in eine Reihe messerscharfer Zähne.
«Buh!», machte der Hai und grinste belustigt.
Yanni spürte, wie ihm das Blut in den Adern gefror.
Das wars dann wohl!, dachte er und schickte ein letztes Stoßgebet zum Himmel.
«Du hast Glück, dass ich bereits gegessen habe. Du wärst wahrlich ein kleiner Leckerbissen gewesen», sagte Astrapi, der Haifisch und griff nach einer auf dem Meeresgrund vor sich hin rostenden Eisenschnur, um sich die Zahnzwischenräume damit zu putzen.
«Gibt es etwas Langweiligeres als Zähne putzen?», beklagte er sich und ließ Yanni nicht aus den Augen.
Yanni schluckte eingeschüchtert. Astrapi lächelte zufrieden und Yanni nutzte die Gunst der Stunde, um ihm die Frage zu stellen, die ihm auf der Zunge brannte.
«Niemand konnte mir bis jetzt eine Frage beantworten. Aber du, stark und schlau und schnell wie ein Blitz, wirst mir sicher weiterhelfen können», stammelte er.
«Was für eine Frage?», wollte der Hai geschmeichelt wissen.
«Ich will zum Horizont. Weißt du, wie man dorthin gelangt?» fragte Yanni schließlich.
Erstaunt sah ihn der Raubfisch an.
«Es stimmt. Ich kann dir deine Frage beantworten, aber von nichts kommt nichts oder wie unsereins sagt, eine Flosse wäscht die andere. Zuerst putzt du mir meine Beißerchen zu Ende und dann sag ich dir, was du wissen willst,» meinte er grinsend.
Yanni zögerte.
«Na, komm schon. Ich tu dir schon nichts. Du hast mein Wort!»
«In Ordnung», willigte Yanni ein und gab sich einen Ruck.
Zitternd streckte er seine Hand in Richtung Hai, als dieser unvermittelt zuschnappte. Yanni konnte gerade noch rechtzeitig die Hand zurückziehen, sodass die Zähne des Haifisches geräuschvoll aufeinanderschlugen.
«Wieso hast du das gemacht?», fragte Yanni vorwurfsvoll.
«Das musst du nicht persönlich nehmen. Ich bin nun mal kein Vegetarier», entschuldigte sich der Hai.
«Wie konnte ich nur so blöd sein!», ärgerte sich Yanni über sich selbst und schwamm, ohne die Antwort des Haifischs abzuwarten an die Wasseroberfläche.
«Warte!», rief ihm Astrapi hinterher.
«Den Horizont kann niemand erreichen. Und das kannst du mir glauben! Ich komme weit herum, denn ich bin das einzige Meerestier, das nie schläft. Ich muss immerzu schwimmen, sonst würde ich ersticken, aber den Horizont habe ich bisher nicht erreicht.»
«Wieso sollte ich dir auch nur ein Wort glauben? Du wolltest mir gerade die Hand abbeißen!»
«Du bist aber auch störrisch!» entgegnete der Haifisch am Ende seiner Geduld.
«Ich werde schon noch jemanden finden, der mir die Wahrheit sagt!», beharrte Yanni.
«Ich sollte dich vielleicht doch fressen, dann würdest du den anderen nicht mehr mit deiner Sturheit auf die Nerven gehen. Wenn man die Wahrheit wissen will, muss man sie auch ertragen können. Meinst du, ich würde mich nicht mal nach einem tiefen langen Schlaf sehnen? Aber es ist wie es ist. Dafür muss ich mich vor niemandem fürchten. Na ja, stimmt so auch wieder nicht. Ihr nennt uns zwar immer gefährliche Monster, aber wir haben kaum so viele von euch auf dem Gewissen wie ihr! Seit dieser amerikanische Regisseur aus Hollywood, wie hieß er doch gleich, diesen Horrorfilm über den weißen Hai gemacht hat, ist alles noch viel schlimmer geworden. Immer denkt ihr nur in Schwarz und Weiß! Wir sind die bösen und ihr die guten. Dass ich nicht lache!», entrüstete sich Astrapi und schwamm davon.
Yanni sah ihm nach und bemerkte, dass er nicht mehr alleine war. Die restlichen Fische hatten sich wieder aus ihren Verstecken hervorgetraut und blickten ihn verstohlen an. Yanni dachte über Astrapis Worte nach und musste ihm recht geben. So betrachtet war der Mensch tatsächlich der größte Räuber der Geschichte. So weit er auch in seiner Erinnerung wühlte, ein Krieg, den irgendwelche Tiere gegen andere geführt hätten, kam Yanni nicht in den Sinn.

An diesem Abend flickte Yanni weder sein Netz, noch dachte er sich neue Geschichten für Sofia aus. Zum ersten Mal seit langem blickte er in die Weite und versuchte, die feine Linie zwischen Meer und Himmel zu erkennen. Lange war es her, seit er den Horizont gegrüßt hatte. Zu sehr war er damit beschäftigt gewesen, nach dem Weg dorthin zu suchen. Yanni war bei Sonnenuntergang wieder um Jahre gealtert und fühlte sich außergewöhnlich schwach und erschöpft. In seinem Inneren kämpften der junge und der alte Yanni gegeneinander an. Der junge Yanni wollte den Horizont erreichen, eine Antwort auf alles haben, die Welt verändern, während der alte Yanni wusste, dass man nicht alle Fragen beantworten konnte. So saß der Fischer an Deck und zerbrach sich den Kopf darüber, was er denn nun machen sollte, aber er kam auf keine Lösung.

© Text und Zeichnungen Brambrilla 2015 / Daniela und Isabella Cianciarulo

7. Mai 2015

Zum Muttertag

Am Sonntag feiern wir unsere Mamas. Eine gute Gelegenheit, zu überlegen, was deine Mama so einzigartig macht und dich dafür bei ihr zu bedanken! Die Vorlage kannst du gerne ausdrucken und auf der gestrichelten Linie aufschreiben, warum du deine Mama lieb hast. 


Die Herzgirlande kannst du übrigens ganz leicht selbst machen. Farbiges A4-Papier der Länge nach in ca. 1 1/2 cm breite Streifen schneiden. 

Unser Kater Raphi hatte jedenfalls tatkräftig seine Tatzen im Spiel:-)